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08.02.2018

Der Koalitionsvertrag aus steuerlicher Sicht

Das Ende des Solidaritätszuschlags?

Der mit Spannung erwartete Koalitionsvertrag liegt nun vor. Aber ist endlich der große Wurf gelungen?

Werfen wir einen Blick in die steuerlichen Abschnitte. Keine Angst, diese sind kurz, es sind nur 20 Zeilen von insgesamt 8377 (die Zeilen sind durchnummeriert).

2435 2. Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei Steuern und Sozialabgaben
2436 Wir werden insbesondere untere und mittlere Einkommen beim Solidaritätszuschlag
2437 entlasten. Wir werden den Solidaritätszuschlag schrittweise abschaffen und ab dem
2438 Jahr 2021 mit einem deutlichen ersten Schritt im Umfang von zehn Milliarden Euro
2439 beginnen. Dadurch werden rund 90 Prozent aller Zahler des Solidaritätszuschlags
2440 durch eine Freigrenze (mit Gleitzone) vollständig vom Solidaritätszuschlag entlastet.


Die erste Frage ist, wie die Koalition untere und mittlere Einkommen definiert. Der durchschnittliche Jahresbruttolohn lag 2016 bei € 36.187 (dafür erhält man einen Rentenpunkt). Ein lediger Bürger zahlt bei diesem Bruttolohn € 301,18 Solidaritätzuschlag, ein verheirateter Alleinverdiener mit 2 Kindern 0,00. (Quelle: BMF-Steuerrechner)

Ab dem Jahr 2021 bedeutet zum Ende der Legislaturperiode (in 2021 sind erneut Bundestagswahlen). Im letzten Regierungsjahr möchte die Koalition also den ersten Schritt wagen.

Dieser ist allerdings erheblich, das Aufkommen des Solidaritätszuschlags betrug 2016 16 Milliarden Euro, davon 11 Milliarden Euro über die Lohnsteuer (Quelle: Bundeshaushalt 2016). Davon sollen 10 Milliarden wegfallen.

Mich irritiert ein wenig, dass diese 10 Milliarden von unteren und mittleren Einkommen gezahlt sein sollen, wo doch kleine und mittlere Einkommen nur wenig Soli zahlen (siehe oben). Wenn alle Zahler dieser 10 Milliarden ledige Durchschnittsverdiener wären, müssten es mehr als 33 Mio sein. Es gab 2016 rund 43 Mio Erwerbstätige. Die 10 Millionen zwischen 33 und 43 sind dann scheinbar die verheirateten mit Kindern und/oder die "oberen" Einkommen.

Außerdem kann ein Durchschnittsverdiener definitionsgemäß nicht zu den unteren Einkommen gehören, nur zu den mittleren. Dass 90 Prozent aller Zahler zu den unteren und mittleren Einkommen gehören sollen, ist nicht plausibel.

Mit der Freigrenze scheint eine falsche Begrifflichkeit verwandt worden zu sein: Freigrenze bedeutet, dass unterhalb eines bestimmten Betrages kein Solidaritätszuschlag anfällt. Wird die Freigrenze um 1 € überschritten, fällt auf den Gesamtbetrag Solidaritätszuschlag an. Bei einem Freibetrag bliebe dieser "Sockel"Betrag auch bei Überschreiten steuerfrei, nur der eine Euro mehr würde mit Solidaritätszuschlag belastet.

Ein lediger Arbeitnehmer zahlt derzeit aufgrund des Freibetrags im Solidaritätszuschlaggesetz erst ab einem Bruttolohn von rund € 1.500 monatlich Solidaritätszuschlag. Warum dieses bewährte Prinzip nicht angewandt wird, und stattdessen eine Gleitzone eingeführt wird, die den gleichen Effekt haben soll, ist mir schleierhaft. Aber es wird sicherlich kompliziert werden.

Zwischenfazit: In sich sind die Aussagen zum Soli also widersprüchlich. Die Lücke im Steueraufkommen muss gedeckt werden, wodurch bleibt unerwähnt. Mich beschleicht das Gefühl, dass der in Teilen der Bevölkerung verhasste Solidaritätszuschlag in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, um der entsprechenden Wählerschaft einen Verhandlungserfolg präsentieren zu können.

2442 Wir werden die Steuerbelastung der Bürger nicht erhöhen. Wir halten an der bewähr-
2443 ten übung fest, alle zwei Jahre einen Bericht zur Entwicklung der kalten Progression
2444 vorzulegen und den Einkommensteuertarif im Anschluss entsprechend zu bereini-
2445 gen. Wir prüfen zudem eine Anpassung der pauschalen Steuerfreibeträge für Men-
2446 schen mit einer Behinderung.


Das hört sich gut an, ist aber ein "weiter so". Das bestehende System wird nicht verändert.

2448 Geringverdienerinnen und Geringverdiener werden wir bei Sozialbeiträgen entlasten
2449 (Ausweitung Midi-Jobs). Dabei wird sichergestellt, dass die geringeren Rentenversi-
2450 cherungsbeiträge nicht zu geringeren Rentenleistungen im Alter führen.
2451
2452 Wir werden den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte
2453 senken.


Midi-Job bezeichnet ein Arbeitsverhältnis oberhalb der Mini-Jobs mit einem Verdienst von € 450 bis € 850. Der Arbeitgeber zahlt in diesem Bereich die vollen Sozialversicherungsbeiträge, der Arbeitnehmer nach einer extrem komplizierten Berechnung nur Teile.

Nachteil der Midi-Jobs ist, dass der Arbeitnehmer vom Verdienst – während er arbeitet – nur schwer leben kann; endlich in Rente kann er dies gar nicht mehr. Selbst am oberen Ende der Skala werden nur sehr geringe Rentenansprüche angesammelt, nach 40 Jahren Tätigkeit nur überschlägig 12 Rentenpunkte. Ein Rentenpunkt ergibt derzeit € 31 Rente monatlich, so dass der Arbeitnehmer mit € 350 Rente auskommen müsste. Dies möchte die Koalition verbessern, wobei selbst die doppelte Rente in Großstädten nicht zum Leben reichen dürfte.

Der verminderte Arbeitslosenbeitrag würde unserem Durchschnittsverdiener von oben € 4,50 monatlich bringen (die andere Hälfte erhält der Arbeitgeber).

425 Wir setzen uns für einen gemeinsamen Rahmen für Unternehmenssteuern
426 in Europa ein: Deutsch-französische Initiative für gemeinsame Bemessungs-
427 grundlage und Mindeststeuersätze bei Körperschaftsteuer.


428 Wir kämpfen gegen Steuerbetrug und Steuervermeidung: Gerechte Besteue-
429 rung von Internetkonzernen. Verhinderung von Steuerhinterziehung durch Schlie-
430 ßung von Steuerschlupflöchern und Steueroasen.


Beides ist richtig und notwendig, wäre aber schon in der vorherigen Legislaturperiode möglich und nötig gewesen.

Ein Fazit fällt mir schwer, aber der große Wurf wurde im steuerlichen Bereich (wieder) nicht erreicht. Die wesentlichen Herausforderungen

wurden nicht angegangen und – so befürchte ich – werden nicht für ausreichend wichtig erachtet.

Der steuerliche Teil des Koalitionsvertrages liest sich stattdessen wie eine Mischung aus "weiter so" und "Nebelkerze". Aber die Stammtische können sich über den nun (2021 und später) endlich "abgeschafften" Solidaritätszuschlag freuen.

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